Liebe Nele, mit Monster schickst du dein Ermittler-Duo Oliver von Bodenstein und Pia Sander bereits zum elften Mal auf Mörderjagd. Langweilig wird es dir offensichtlich nicht mit den beiden. Was magst du an deinen beiden Hauptfiguren?
Als ich 2006 Eine unbeliebte Frau schrieb, ahnte ich nicht, dass sich daraus eine Krimiserie entwickeln würde. Ich erschuf Oliver von Bodenstein und seine Kollegin Pia Kirchhoff ein wenig nach dem Vorbild von Inspector Lynley und Sergeant Havers aus den Büchern von Elizabeth George, die ich damals sehr liebte. Zu dieser Zeit dachte ich nicht daran, dass viele Leute meine Geschichten lesen würden, ich schrieb eher für mich selbst. Ich freute mich jeden Tag darauf, abends für ein paar Stunden in meine Fantasiewelt einzutauchen und dort meine Figuren zu treffen, die ich mir ausgedacht hatte. Dann schrieb ich mit Mordsfreunde einen zweiten Band. Wenn man sich so intensiv mit Figuren beschäftigt, wie man es als Schriftsteller tut, dann wachsen sie einem ans Herz. An meinem allerersten Roman Unter Haien habe ich acht oder neun Jahre lang geschrieben, und als er beendet war, fiel ich in ein Loch. Es fühlte sich an, als hätte ich gute Freunde verloren. Oliver und Pia treffe ich immer wieder, das macht mir den Abschied jedes Mal leicht. Selbst wenn ich gerade nicht an einem neuen Krimi arbeite, denke ich über sie nach und überlege, was sie als nächstes erleben und wie sie sich weiterentwickeln. Sie haben Vorlieben und Abneigungen, Stärken und Schwächen wie echte Menschen. Manchmal kommt es mir vor, als gäbe es sie wirklich. Und auch jetzt, nach dem 11. Band, habe ich das Gefühl, dass ihre Geschichte noch nicht zu Ende erzählt ist. Ich denke, sie dürfen sich jetzt etwas erholen, und dann schicke ich sie in ihr nächstes Abenteuer.
Dein neuer Kriminalroman beginnt mit dem Alptraum aller Eltern: Ihre sechzehnjährige Tochter wird ermordet aufgefunden. Einmal mehr schickst du deine Protagonisten in eine Ausnahmesituation – was interessiert dich daran?
Genau das: die Ausnahmesituation! Wir Krimiautoren muten unseren Figuren schreckliche Dinge zu und schauen dann, wie sie damit umgehen. Und das ist ja auch der Grund, weshalb so viele Leserinnen und Leser vom Genre Krimi so fasziniert sind, denn insgeheim hat sich wohl jeder von uns angesichts eines Verbrechens schon die Frage gestellt, was er selbst tun und wie er sich verhalten würde, käme er in eine solche Situation. In meinem Freundeskreis haben sich in den letzten Jahren mehrere Morde ereignet, und ich habe mitbekommen, was in den Angehörigen eines Mordopfers vorgeht. Glücklicherweise konnten alle Morde von der Polizei aufgeklärt werden, denn mit das Schlimmste an diesen Verbrechen sind die Ungewissheit, was geschehen ist, und die Frage nach dem Warum. Ich bin ein empathischer Mensch und kann mich gut in andere hineinversetzen, deshalb fühle und leide ich immer mit, wenn ich von Verbrechen oder Unglücken höre oder lese. Vielleicht kann ich deshalb auch gut beschreiben, was in Angehörigen vorgeht, weil es mir nahegeht und mich die Psychologie dahinter interessiert. Warum kommen manche Menschen besser, manche schlechter mit einem so schrecklichen Verlust klar? Spielt Resilienz dabei eine Rolle oder ist das nur eine Täuschung? Welche langfristigen Auswirkungen kann ein Trauma bei Angehörigen der Opfer haben? Wie kann man mit dem Verlust eines geliebten Menschen überhaupt weiterleben? Solche Fragen stelle ich zuerst mir selbst, dann meinen Protagonisten und schließlich meiner Leserschaft. . |
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Den Wunsch nach Gerechtigkeit, nach Sühne eines Verbrechens können alle Leser nachvollziehen. Doch immer wieder wird Kritik an unserem Justizsystem laut – Urteile fallen in den Augen der Öffentlichkeit zu milde aus oder werden gar nicht erst rechtskräftig. Auch in Monster werden solche Fälle geschildert. Wie nah ist das an der Realität?
Als regelmäßige Zeitungsleserin springt mich die Gewalttätigkeit, die auf der Welt herrscht, jeden Morgen an und macht mich oft sprachlos. Die Straftäter scheinen immer jünger und immer brutaler zu werden, und viele Verbrechen ereignen sich vor unserer Haustür, was uns besonders erschüttert und berührt. Immer wieder liest man, dass Urteile in einer nächsthöheren Instanz aufgehoben werden oder Täter milde Strafen erhalten, die zur Bewährung ausgesetzt werden. Juristischen Laien fällt es häufig schwer, die Entscheidungsfindung von Gerichten nachzuvollziehen; das persönliche Rechtsempfinden wünscht sich in vielen Fällen andere, oftmals härtere Urteile und Strafen. Und auch Profis, also Richter und Staatsanwälte sind oft überfordert, angesichts der Masse an Verfahren, die sie zu bewältigen haben, denn an vielen Gerichten in Deutschland herrscht akuter Nachwuchsmangel. Alle Fälle, die ich in Monster beschreibe, haben sich tatsächlich ereignet. Ich habe aus Gründen der Diskretion Namen, Orte und Umstände weitestgehend verändert. Wie immer in meinen Krimis entwickelt sich auch die Handlung von Monster vor einem Hintergrund, der durchaus real ist. Ich habe versucht, die derzeitige Situation in Deutschland abzubilden, ohne dabei wertend oder gar polemisch zu sein.
Rachegedanken sind menschlich. Wo verläuft der schmale Grat zwischen dem Wunsch nach Gerechtigkeit und Rache?
Der schmale Grat verläuft zwischen Wunsch und Tat. Wohl jeder hat sich schon einmal insgeheim gewünscht, es jemandem, über den er sich geärgert hat, mit gleicher Münze heimzuzahlen. In den meisten Fällen bleibt es bei diesem heimlichen Wunsch, denn zum Glück haben die allermeisten Menschen einen intakten moralischen Kompass, der sie davon abhält, einem kurzen Rachegedanken Taten folgen zu lassen. Aber was, wenn es nicht beim Gedanken bleibt? Wenn eine Kränkung oder Verletzung so tief ist, dass man Vergeltung für erlittenes Unglück – ob real oder nur empfunden – üben will, und der Wunsch nach Rache übermächtig wird und jeden Gedanken bestimmt? Darf man selbst bestimmen, was Gerechtigkeit ist? Wie weit darf man gehen, ohne selbst ungerecht zu werden? Ein Thema, das uns alle fasziniert, wie man an unendlich vielen Hollywood-Filmen feststellen kann. Weil der Wunsch nach Rache und Gerechtigkeit eben zutiefst menschlich ist. |
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