Sehr lange hatten Sie als Autor einen Brotberuf, eine eigene Fernsehproduktion. Jetzt widmen Sie sich ausschließlich dem Schreiben. Wie kam es dazu?
Als Kind wollte ich später mal Kino machen. Nach den ersten Jobs wurde aus Kino sehr schnell Fernsehen, und die Liebe fürs Erzählen und zur Fiktion ist geblieben. Als mir klar wurde, dass ich nicht gleichzeitig weiter erfolgreich Bücher schreiben und Fernsehen machen kann, habe ich mich im Sommer 2021 fürs Schreiben entschieden. Natürlich hat es manchmal etwas Einsames, allein vor seinem Laptop zu sitzen, aber gleichzeitig auch etwas Befreiendes. Der Fantasie sind hier wenig Grenzen gesetzt. Das ist etwas, das ich sehr genieße.
Sie haben eine neue Serie entwickelt, mit Art Mayer und Nele Tschaikowski als Ermittlern. Wie ist der Bundeskanzler in Ihre Geschichte hineingekommen?
Der Bundeskanzler ist für mich erst einmal eine politische Figur. Aber er ist auch ein Mensch mit einer Vergangenheit und einem Privatleben. Wo kommt der her? Wie hat sein Leben ausgesehen? Was hat er als Kind für Erfahrungen gemacht? Wie geht er heute mit seiner Prägung um? Ich stelle mir vor, wie der Bundeskanzler privat mit seiner Frau spricht, wie er sich verhält, wenn er auf einen alten Freund aus alten Zeiten trifft, wie er schwierige Entscheidungen im Privaten treffen und dabei abwägen muss, ob diese Entscheidungen auch Auswirkungen auf die Politik haben. Da wird es interessant. Ich wollte kein politisches Buch schreiben, sondern eines über das Leben, über den möglichen Widerspruch von Integrität und Loyalität. Im Leben allein steckt schon viel Politik.
Das Private, das in die Politik reicht, ist ein großes Thema in Ihrem Buch. Als anderes großes Problem zeigen Sie die Vermischung von Fakten und Fiktion.
Chelsea Manning, eine der prominentesten Whistleblower:innen, sagte sinngemäß, dass wir keine Whistleblower brauchen, sondern Faktenchecker. Damit hat sie sehr recht. Es gibt eine Studie vom Club of Rome, die als bedeutendstes Problem unserer Zeit die kollektive Unfähigkeit benennt, zwischen Fakten und Fiktion zu unterscheiden. Die Folgen davon kann man besonders gut in den USA sehen. Aber auch hier bei uns habe ich oft den Eindruck, dass viele Menschen keinerlei Überblick mehr darüber haben, was sie für falsch oder für richtig halten sollen. Medien spielen dabei eine entscheidende Rolle. Damit müssen wir uns auseinandersetzen, und darum geht es auch in meinem Krimi um Art Mayer und Nele Tschaikowski.
Könnten Sie selbst denn ein Fake-Video produzieren?
Ganz klar ja. Sobald man mit Film und Fernsehen zu tun hat, geht es um Illusionen, die andere bitte für so echt wie möglich halten sollen. Das ganze Handwerk ist sozusagen darauf ausgerichtet, „Fakes“ zu produzieren. Dabei rede ich nicht von Nachrichten. Bei den TV-Sendern arbeiten viele Menschen, die gute Arbeit machen. Aber das Know-how kann man genauso gut auf politische Fake-Videos anwenden. Tatsächlich gibt es bereits gute Videoprogramme für kleines Geld, mit denen das möglich ist. Selbst wenn man nur einen Bruchteil der Methoden aus Hollywood zur Verfügung hätte, könnte man unglaubliche Fake-Videos produzieren, die größte politische Verwirrung stiften würden. |
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Wie entstand die Idee zu dem Thriller DER MORGEN?
Ich habe nicht diese eine Idee, die gleich den ganzen Roman vor mir ausbreitet, sondern ich schreibe mich in eine Situation rein, die ich interessant finde, die für mich eine Energie hat. Das ist ein bisschen wie ein Sprung aus dem Flug-zeug. Daraus entstehen Figuren, Wendungen, Motive, die sich immer weiter aus sich selbst heraus entwickeln. Ab der Mitte des Romans öffne ich den Fallschirm, und überblicke die ganze Landschaft. Der Prolog von DER MORGEN ist eine Erinnerung aus meiner Kindheit. Da gab es einen bestimmten Kiosk, zu dem ich gern und häufig hingegangen bin, um Süßigkeiten zu kaufen. Aber das Süße war mit dem Schrecken verbunden. Ein paar Jugendliche lauerten mir da drei-, viermal auf, und das war wirklich eine furchtbare Situation, die mir Angst gemacht hat.
Was ist denn für Sie ein guter Kriminalroman?
Ich will hier gar nicht nur über Krimis reden, mich interessiert vor allem eine gute und packende Geschichte. Das eine ist, was vorne draufsteht, also zum Beispiel Thriller. Aber beim Schreiben achte ich überhaupt nicht auf Genre-Grenzen. Das, was mich am meisten reizt, ist, was passiert, wenn ich über die Grenze gehe. Wenn ich im Krimi auch eine Coming-of-Age-Geschichte habe, oder eine Liebesgeschichte, ein Drama, die Tiefe eines Romans, die Schnelligkeit eines Thrillers. m Ende ist mir das Wichtigste, dass eine Ge-schichte lebt, neugierig macht und irgendwie auch aufregend ist. Ich will ein Abenteuer erleben. Und im Krimi liegt natürlich eins der größten Abenteuer darin, dem Bösen entgegenzutreten.
Was fasziniert Sie an der Auseinandersetzung mit dem Konzept des Bösen?
Ich glaube, die Wurzel des Bösen ist häufig Angst. Von Geburt an müssen wir uns mit unserer Angst auseinandersetzen. Wir streben nach Sicherheit, aber in ganz vielen Momenten sind wir eben nicht sicher. Im Laufe unseres Lebens entwickeln wir Strategien, wie wir mit dieser Angst umgehen. Manche verhärten und versuchen, die Angst nicht zu spüren. Manche reagieren mit Aggression. Und dann entsteht das, was wir böses Verhalten nennen. Ich frage mich: Wie kann Angst so groß werden – und in eine so falsche Richtung gehen –, dass Menschen anderen wehtun oder gar zu Mördern werden? Und wie kann es sein, dass manche Menschen dabei eine absurde Freude empfinden, also inwiefern ist Sadismus an Angst gekoppelt? Das versuche ich in meinen Büchern herauszufinden – nicht auf eine komplexe psychologische Weise, sondern indem ich meine Figuren bestimmte Erfahrungen machen lasse und zeige, was das für Auswirkungen auf sie hat. Und zwar in alle Richtungen.
Der Ermittler Art Mayer scheint mit seiner Angst einen guten Umgang gefunden zu haben, er ist ein Einzelgänger, einer mit einem großen Herzen. Aktuell ist er aber ziemlich aus der Spur. Wie sehen Sie ihn?
Als Ermittler hat Art Mayer häufig erleben müssen, dass die Mittel der Justiz und der Polizei nicht ausreichen. Dass Täter wieder freikommen, sich mit guten Anwälten aus der Affäre ziehen. Obwohl er als Polizist sehr erfolgreich ist, hat Art Mayer so viele schlechte Erfahrungen gemacht, dass er am System zweifelt. Das wirkt sich immer stärker auf seine Haltung und seine Ermittlungen aus. Immer häufiger geht er Wege, die, sagen wir, etwas ungewöhnlicher, etwas direkter, etwas unkonventioneller und juristisch durchaus auch bedenklich sind. Und Art Mayer trägt eine Geschichte mit sich herum, die er besser niemandem erzählt. Abgesehen davon, dass es berufliche Konsequenzen haben dürfte, wenn sie öffentlich würde, muss Art Mayer fürchten, dass etwas in ihm lauert, vor dem er selbst Angst hat.
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